erschienen in: GO64! - Das Magazin für Computerfreaks, Ausgabe 10/2000

Von der neuen Welt...

Es gab mal eine Zeit, da wurden jegliche ScienceFiction-Filme von ungeheuren Computern dominiert. Da spulten rasende Magnetbänder vor und zurück, gigantische Großrechner blinkten und piepten. Doch mit dem Boom der Homecomputer in den 80ern fand diese - wie man dann wußte, sehr unglaubwürdige - Darstellung von Computersystemen ein jähes Ende.

Großrechner - was ist das überhaupt?

Jedem ist klar, der heimische PC ist kein Großrechner - zumindest nicht nach heutigen Maßstäben. Tatsächlich hat jedoch mittlerweile jeder Computerbesitzer eine Maschine auf dem Tisch, die noch vor 10 Jahren jeden halbwegs bezahlbaren Großrechner vor Neid hätte erblassen lassen.

Die Leistungsdaten haben sich also verschoben. Damals ein Schrank von einem Rechner, heute eine kleine CPU. Doch das Größenverhältnis ist gleichgeblieben und so stehen heutige Großrechner ihren Urahnen in puncto Raumvolumen in nichts nach.

Das Funktionsprinzip

Großrechner erreichen ihre gigantischen Rechenleistungen durch ein einfaches aber wirkungsvolles Prinzip: Parallelarbeit. Tatsächlich finden im aktuell schnellsten Rechner der Welt ganz normale PentiumII-Prozessoren Verwendung mit einer eher gemächlichen Taktrate von 350MHz. Doch da es entsprechend viele sind, nämlich 1024, verhält sich die Maschine bei einer hierfür ausgelegten Problemstellung wie ein Rechner mit 358,4 GHz, eine ziemlich beeindruckende Zahl.

Dieses Prinzip fand auch beim C64 Anwendung, als Mitte der 80er ein wahres Apfelmännchenfieber ausbrach. Benutzern von Programmen wie "fractint" nahezu unvorstellbar, so konnte man tatsächlich den C64 mit dem entsprechenden Apfelmännchensegment und einer etwas größeren Iterationstiefe durchaus eine Woche beschäftigen. Das mußte doch schneller zu schaffen sein, dachten sich findige Köpfe, und sahen sich nach einem "Mitrechner" um. Dieser war in Form der 1541 schnell gefunden, denn wie sicherlich jeder weiß, stellen die Commodore-Laufwerke - anders als ihre PC-Pendants - vollständige Computersysteme dar.

Zum Glück ist die Apfelmännchen-Berechnung gut parallelisierbar und so konnte man bald diese begehrten Grafiken in der doppelten Geschwindigkeit errechnen lassen. Hierbei wurde das Problem auf zwei CPUs verteilt, die Einzelergebnisse wurden hernach zum Gesamtergebnis (dem Apfelmännchen) zusammengefaßt.

Nicht anders funktionieren heutige Großrechner. Man verwendet jedoch wesentlich mehr CPUs (und vor allen Dingen schnelelre) und die Kommunikation derselben untereinander wird über andere Bussysteme abgewickelt.

Großrechner heute

Unlängst hatte ich die Gelegenheit, an einer Führung durch das Leibnitz-Rechenzentrum (LRZ) in München teilzunehmen. Eine inoffizielle Besichtigung hatte ich bereits vor 7 Jahren erstaunliche Erfahrungen erbracht - und so weiß ich seither, daß eine Cray III (Y-MP) trotz höherer Geschwindigkeit längst kein so bequemes Sitzmöbel wie eine Cray II (X-MP) darstellt. Eigentlich sollte man für 13.6 Mio US$ doch etwas mehr Comfort erwarten können...


Me, myself and a Cray T90

Doch 7 Jahre sind eine lange Zeit. Die Boliden von einst sind längst Sondermüll und wurden von einer Cray T90 abgelöst. Doch diese, so erfuhr ich, gehöre mit nur 7.2GFlops/s und 1GByte RAM verteilt auf 4 Prozessoren längst zum alten Eisen. Und so wird das LRZ wohl mittelfristig einen weiteren Blickfänger verlieren. [Bilder: T90 Recheneinheit, T90 Kühler]

Auch der knapp 3x schnellere IBM SP2 Großrechner hat seine starke Zeit hinter sich. Doch zumindest sein Herz wird weiterleben, denn seine 77 Prozessoren sind noch vorzüglich zum Einsatz in RS/6000-Workstations geeignet.


IBM SP2/77

Die Fujitsu/Siemens VPP700 war bis zu Beginn dieses Jahres der Rechenknecht schlechthin. Ihre 52 Prozessoren erbringen eine Gesamtrechenleistung von 114 GFlop/s und an RAM stehen - für Heimanwender schier unvorstellbare - 104GByte zur Verfügung.


Siemens VPP700

Der Star des LRZ jedoch ist die Anfang 2000 installierte Hitachi SR8000. Dieser Rechner beinhaltet derzeit 112 Knoten zu je 8 CPUs, im Vollausbau 2002 werden es gar 168 Knoten sein - dann wird die Hitachi also über 1344 Prozessoren verfügen. Die Spitzenleistung des Systems liegt derzeit bei 1.3TFlop/s, 2002 werden es gar 2.2TFlop/s sein. An Hauptspeicher werden dann übrigens knapp 1.5TB zur Verfügung stehen, momentan sind es "nur" 928GB. Diese gigantische Rechenleistung verhilft der Hitachi auch zu Platz 5 in der Liste der weltweit schnellsten Computer. Darüberhinaus ist sie nicht nur der schnellste Computer in Europa, sie ist sogar der schnellste ausschließlich für zivile Zwecke genutzte Rechner der Welt.


Michael Eberl vor der SR8000

Übrigens ist die SR8000 der erste reale Rechner, den ich zu sehen bekam, der blinkt...

Wohin mit den Daten?

Zu Zeiten als Rechner noch über 64kB Hauptspeicher verfügten, waren Speichermedien mit 170kB bzw. 340kB Kapazität meist vollkommen ausreichend. Für ambitioniertere Projekte aus dem Bereich der Anwendungsprogramme, Spiele oder Demos war diese Größe jedoch nicht immer genug und so wurden diese auf mehrere Disketten(seiten) verteilt. Mit dem breiten Einsatz von Speichererweiterungen auf 512kByte, 2MByte oder heute gar 16MByte war diese Methode jedoch nicht sehr sinnvoll, es brauchte Speichermedien mit höherer Speicherdichte. Dies bescherte uns z.B. die 1581, FD2000/4000 und SCSI- bzw. IDE-Interfaces zum Anschluß von Festplatten.

Auch bei den Großrechnern ist dies nicht anders. Diese verfügen über gigantische Festplattenspeicher im Bereich von 146GByte (T90) bis 7.4 bzw. 10TByte (Hitachi). Doch diese Daten wollen auch gesichert werden. Ein Backup auf CD, wie im Heimbereich durchaus üblich, scheidet naheliegenderweise aus, denn pro Tag etwa 15.400 CDs allein für einen Rechner zu brennen, ist - gelinde gesagt - unpraktikabel.

Hier bedient man sich somit seit Jahrzehnten der gleichen Methode: Speicherung auf Magnetbänder. Allerdings sind diese in ihrer Größe reduziert worden bei gleichzeitiger Erhöhung der Speicherkapazität. Trotzdem gibt es kein Magnetband, das diese großen Datenmengen fassen kann. Stattdessen bedient man sich sogenannter Storage Systems, welche eine Vielzahl von Bändern enthalten, welche bei Bedarf durch einen kleinen Roboter eingelegt werden.


Der Todesstern - es gibt ihn wirklich

Fazit

Es war eine beeindruckende Führung. Großrechner haben nichts von ihrem beeindruckendem Erscheinungsbild verloren, ja, manche blinken sogar :)

Wer zu einer solchen Führung die Möglichkeit hat, sollte sie unbedingt nutzen. Mein Dank gilt Detlef Fliegl von der Technischen Universität München für die Organisierung der Führung sowie natürlich Herrn ??? vom LRZ für die Durchführung derselben und die ausführlichen Erklärungen zu allen Maschinen.


Bildmaterial

Rainer Buchty(*) und Florian Radlherr(+)
(*)http://hotswap.in.tum.de/buchty
(+)http://flori.schlingel.org/bilder/2000-10-12-lrz-fuehrung
Informationen zu den Rechensystemen
http://www.lrz.de/services/compute/hlr