erschienen in: GO64! - das Magazin für wahre Computerfreaks, Ausgabe 4/99
 

Hello World,

eigentlich kann man es sich heute kaum noch vorstellen, aber vor 17 Jahren war unser C64 ein brandheißer Rechner. Wer wie ich damals noch seine Zeit an AIM65 und ZX81 verbrachte, stand staunend vor einer Maschine, die über revolutionäre Grafik- und Soundeigenschaften verfügte. Doch die Welt hat sich weitergedreht. Das erfahren C64-User schon bei einfachen Dingen wie dem Kauf von Disketten - wo bekommt man heute noch 5.25" DD Disketten? Umso wichtiger ist es, zu schauen, welche der schönen neuen Sachen man vielleicht auch für seinen C64 zweckentfremden kann. CMD hat es vorgemacht und beglückte die "commophile" Welt mit 3.5" HD-Laufwerken, SCSI-Interfaces und Festplatten.

Doch der Weg dorthin ist steinig. Der C64 verfügt über keinen modernen Bus, der Zugriff auf PC-Standardperipherie bleibt ihm verwehrt. Aber muß das zwangsläufig so sein? Ich denke nicht, denn auch neue Entwicklungen können noch interessant für den C64 sein. Ein Beispiel wäre der Universal Serial Bus (USB), der sich anschickt der neue Standardbus für externe Peripherie zu werden: Dieser ließe sich mit vergleichsweise geringem Aufwand auch für den C64 nutzbar machen.

Jedoch nicht alles, was neu ist, ist auch zwangsläufig gut. Dies zeigt die aktuelle Diskussion um den digitalen Fingerabdruck von Intels aktuellem Flaggschiff, dem Pentium III. Vorbei sind die Zeiten, da CPUs einer neuen Generation mit wirklich neuen Features und einer dramatischen Steigerung der Rechenleistung aufwarteten - auch im CPU-Geschäft wird mittlerweile mit Kosmetik gearbeitet. Andererseits bieten uns moderne Prozessoren eine interessante Alternative zur Hochrüstung unserer alten Rechner mittels SCPU, denn mit schnelleren Prozessoren werden auch Emulatoren immer schneller und präziser. Und wenn ich mittels Adapterkabel meine alten Disketten in ihrer originalen Form verwenden kann, die Emulation 99,999% bei einer minimalen Emulationsgeschwindigkeit von 100% beträgt (und sich gar auf das 20-fache steigern läßt), dann kann ich es eigentlich verschmerzen, daß ich keinen originalen C64 mehr vor mir habe.

Doch es gibt auch Hardliner, denen ein emulierter C64 fast schon einer Beleidigung ihres geliebten Rechners gleichkommt. Umso schlimmer für diese, daß der C64 programmtechnisch kaum noch Neuerungen erfährt - und so hat der C64-Fan oftmals das Nachsehen, will er Dateien mit Nicht-C64-Nutzern teilen oder einfach nur am Internet teilnehmen. Wie will man beispielsweise die allgegenwärtigen Microsoft Office Dateien lesen? Wie das Portable Document Format (PDF) von Adobe? Und das Surfen im Internet scheitert schon am Nichtvorhandensein einer PPP-Implementation für den C64. Undenkbar ist all dies auf dem C64 jedoch nicht, verfügt ein "moderner" C64 doch über mindestens 512kB RAM in Form einer REU, viele davon gar auf 2MB erweitert. Andere RAM-Erweiterungen bringen es gar auf 16MB - genug Platz also, um auch aufgeblähte Office-Dateien im Speicher zu halten... Ein grafischer HTML-Browser wäre ebenfalls eine tolle Sache, zumindest der C128 verfügt auch über die Grafikhardware, um Webseiten in einer vernünftigen Auflösung anzuzeigen. Genug Spielwiese also für engagierte Programmierer, zumal es hier nicht mal unüblicher oder noch zu entwickelnder Hardware bedarf.

Hardware-Erweiterungen für den C64 sterben aus. Jüngste Gerüchte besagen, daß CMD, die letzte Bastion der kommerziellen Hardwareentwicklung für die C64-Gemeinde, seine diesbezügliche Entwicklungsarbeit einstellt und es fürderhin keine neue Hardware geben wird. Umso wichtiger, das gesamte Feld der C64-Hardwareentwickler zu beleuchten. Intelligente Tastaturinterfaces, die den Anschluß von PC-Tastaturen an den C64 ermöglichen, ein IDE-Interface zum Anschluß von handelsüblichen PC-Festplatten an den C64 - es gibt auch noch innovative Hardware von ambitionierten Privatleuten. Nicht zuletzt diese sind es, die derzeit über das Cloning von immer knapper werdenden C64-Chips ernsthaft nachdenken. Daß hierbei nicht nur über ein simples Cloning sondern gar über eine Verbesserung der entsprechenden Chips nachgedacht wird, gibt Anlaß zur Hoffnung, daß es auch in Zukunft dedizierte C64-Hardware geben wird.

Und die braucht es. Ganz oben auf der Wunschliste vieler C64-Fans steht eine Möglichkeit, ihren Rechner ins heimische Netzwerk einzubinden. Eine Netzwerkkarte tut Not - eine Lösung ist jedoch bislang nicht in Sicht. Einzig der (Um)Weg über eine SLIP-Verbindung bleibt, was Puristen jedoch nur als Notlösung betrachten. Ein weiteres Feld für Innovation ist die Grafikfähigkeit des C64: Hier haben die Coder zwar beste Arbeit geleistet, um aus dem VIC-II das schier Unmögliche herauszuholen, zum Arbeiten jedoch taugt ein 320x200 FLI-Modus mit Farbinterlace nicht - davon abgesehen, daß die CPU auch noch etwas anderes als VIC-Bankswitching zu tun hat. Leider sieht es hier ziemlich düster aus: VDCs sind Mangelware und so gibt es nicht einmal diese Möglichkeit, den C64 mit einer "Productivity Resolution" zu versehen.

All dies soll Inhalt dieser Kolumne werden. Einblicke in die C64-Welt abseits ausgetretener Pfade und ein Blick über den Tellerrand, was sich denn so in der großen weiten Welt der Computerei tut - stets gepaart mit der Frage, ob und wie sich dies für den C64 nutzen läßt. Eine etwas gewagte Gratwanderung, zugegeben, aber hoffentlich auch ein Blick vorwärts, der die eine oder andere Perspektive für zukünftige Hardware aufzeigt, die unserem Lieblingscomputer hoffentlich noch ein langes Leben bescheren wird.
 

Euer Rainer