erschienen in: GO64! - Das Magazin für wahre Computerfreaks, Ausgabe 3/99

6581 strikes back - die SIDstation

Es begab sich einst um die Weihnachtszeit, da ereilte mich eine hilfesuchende Mail. Es war unser lieber Onkel Wanja, der da schrieb: "Du, ich bin bis über beide Ohren dicht. Und überhaupt, mit Musik kennst Du Dich eh besser aus - magst Du nicht einen Artikel über die SIDstation schreiben?" Wer könnte da schon nein sagen? Außerdem interessierte mich das Ding doch gewaltig.
von Rainer Buchty
 

Was'n das?

Wir alle kennen und lieben den Klang des SID als unverwechselbares Kennzeichen des C64. Gerade dieser unverwechselbare Klang war es auch, der den C64 gegen seine grafisch gleichwertigen Konkurrenten Atari 600/800XL auszeichnete. Später geriet dieser Klang jedoch in Vergessenheit und wurde durch das Sampling verdrängt, welches es erlaubte, erstmals realistische und naturgetreue Klänge auf dem Computer zu verwenden. Heute erlebt der Klang des SID ein Revival, zahlreiche Websites mit SID-Tunes und die Vielzahl von SID-Emulatoren auf unterschiedlichsten Computerplattformen zeugen davon.
Bei einigen geht die Liebe zum SID-Sound offenbar weiter, denn eine Gruppe von findigen Schweden kam auf die Idee, einen richtigen Synthesizer auf Basis des SID zu entwickeln - die SIDstation war geboren.
 

Spezifikationen - Vorsicht, Technik!

Wer nun glaubt, die SIDstation sei nichts anderes als ein C64 im neuen Gewand, der irrt. Es ist ein vollkommen eigenständiges Gerät, welches darüberhinaus in einem sehr schmucken Gehäuse daherkommt.
Front View of SIDstation
SIDstation Frontansicht

Doch was steckt an Innereien drin? Prinzipiell besteht die SIDstation aus einem Microcontroller vom Typ 68HC11, dem SID und der Betriebssoftware, die der SIDstation in der vorliegenden Version folgende Fähigkeiten verleihen:

Soweit nichts unbekanntes, jeder SID-Programmierer kennt das ja von entsprechenden Composer-Tools oder Software-Synthesizern wie dem 1985 in der 64er veröffentlichten "Modulator".

Nun kennen wir alle den Sound des SID, der zwar durchaus eigenständig und kräftig ist - aber den direkten Vergleich mit professionellen Synthesizern besser scheut. (Dies hat übrigens auch Bob Yannes, dem Erfinder des SID und späteren Mitbegründer der Firma ENSONIQ, keine Ruhe gelassen. So hat er in Interviews stets betont, daß der SID durchaus besser zu machen gewesen wäre, jedoch der zeitliche Druck schlichtweg zu hoch war.) Gewagte Sache also, die SIDstation nicht nur mit "echten" Synthesizern wie Roland Juno 106 oder JP8000 zu vergleichen, sondern sie auch noch qualitativ über diese zu stellen, wie dies von den Entwicklern und Vertreibern der SIDstation auf ihrer Webpage (http://www.sidstation.com) getan wird.
 

How to make it better

Um den vergleichsweise schlechten Originalsound zu verbessern, wurden folgende Maßnahmen getroffen: Zugegeben, die Revision 4 des SID war die beste, auch ich habe meine C64 seinerzeit auf diese Fertigungsserie umgerüstet. Und durch die Verwendung zweier Stromkreise begegnet man dem Problem, welches beim C64 stets für ein 15kHz-Pfeifen im Audioausgang gesorgt hat, nämlich der Einstreuung von Digitalsignalen in den Endverstärker. Eine Optimierung der Filterkondensatoren ändert indes recht wenig am eigentlichen Klang des SID, so daß man davon ausgehen muß, daß die SIDstation lediglich "sauberer" klingt - am Klangverhalten an sich dürfte sich nichts geändert haben, was die Klangbeispiele auf www.sidstation.com auch belegen.
 

Wer braucht die SIDstation?

Die Frage ist berechtigt, soll die SIDstation (sobald in Stückzahlen lieferbar) doch für umgerechnet DM500.-- über die Ladentheke gehen. Elektron ESI AB, der Hersteller und Vertreiber der SIDstation, formuliert dies so:
"This is for people looking for a new sound. If you just want some acid squelches or soft Juno pads, go and get a Rebirth 338 or JP-8000. The realtime control of the SID chip gives the SIDstation its unique sound."
Sinngemäß übersetzt heißt dies, daß man sich offenbar sehr genau darüber bewußt ist, daß die SIDstation klanglich nicht mit vollwertigen Synthesizern mitzieht, die Eigenständigkeit der SIDstation ergibt sich jedoch aus der Art der Programmierung des SID.
Wer sich die SIDstation-FAQ durchliest, wird übrigens generell einen sehr harschen Ton gegenüber kritischen Fragen feststellen - gepaart mit einigen terminologischen Ungereimtheiten, die für mich Grund genug waren, mal nachzufragen.
 

Frage- und Antwort

Es wird mehrfach auf den einmaligen, unverwechselbaren Klang der SIDstation hingewiesen, der durch eine eigene Synthese erzeugt werden soll. Nun wissen wir alle, daß an der Synthese des SID nichts zu ändern ist. Er hat 3 digitale (auf Basis von sog. Phasenakkumulatoren erzeugte) Oszillatoren, welche nach erfolgter D/A-Wandlung über analoge Verstärker in ein analoges Multimodefilter und einen analogen Gesamtverstärker geschickt werden. Subtraktive Synthese in Reinkultur also - wie nun hier was ändern? Des Rätsels Lösung ist einfach und heißt Marketing: Man betrachtet die Miteinbeziehung des Arpeggiators in die Klangformung einfach als Syntheseform... Weiterhin soll die totale Echtzeitkontrolle aller Parameter Grund für diesen einmaligen Klang sein - nun frage ich mich allerdings, was daran so einzigartig ist, denn diese Fähigkeiten bietet jeder Uralt-Synthesizer bzw. via MIDI heutzutage ohnehin jedes Gerät.

Wer nun auf die Idee kommt, sowas könnte man doch leicht selbst auf dem heimischen 64er basteln, dem wird sogleich abgeraten. Der C64 sei dafür viel zu langsam. Das verwundert mich dann schon sehr, denn die bereits erwähnte "Modulator"-Software funktionierte auf dem C64 in Echtzeit - und war dabei synthesetechnisch wesentlich komplexer als die SIDstation, ja es gab sogar einen Patch, mit dem spezielle Keyboards direkt an den C64/Modulator angeschlossen werden konnte. Der Einwand, der C64 sei zu langsam, kann somit sicherlich in das Reich der Sagen und Märchen verwiesen werden...

Viel Wert legen die SIDstation-Entwickler auf die einfache, intuitive Bedienungsoberfläche der SIDstation. Diese stellt sich bei näherer Betrachtung allerdings gar nicht als so spektakulär heraus - ein Endlosdrehrad (auf neudeutsch "Alpha-Dial" genannt), 4 Echtzeitmodulatoren (Potis) sowie ein Tastenfeld samt Cursorsteuerung. Erinnert mich spontan an den Bedienungs"komfort" älterer Synthesizer-Expander und reißt mich demzufolge nun wirklich nicht vom Sockel, einzig Composer, die nie etwas anderes als einen Tracker gesehen haben, mögen da in spontanes Entzücken ausbrechen.

Wer sich nun denkt, daß Echtzeitregler im Zeitalter von MIDI ohnehin obsolet sind, da der Sequencer die entsprechenden Parameter liefert, der hat Pech. Die MIDI-Implementation ist derzeit eher rudimentär und umfaßt gerade mal das Notwendigste, nämlich Note an, Note aus, Pitch Bend, Modulation Wheel und Programmumschaltung. Da eine aufwendigere MIDI-Implementation derzeit nicht unbedingt Priorität genießt (klar, erst muß einmal die Synthesesoftware komplett stehen), darf man gespannt sein, ob und wann weitere Controller oder gar die totale Fernbedienung der SIDstation via MIDI SysEx ihren Weg in die Software finden.
 

Wie klingt's denn nun?

Leider stand mir kein Testmuster zur Verfügung und derzeit wird auch noch fleißig an der Software geschraubt, um zusätzliche Features einzubauen. So konnte ich mich bei der Beurteilung nur auf die auf der SIDstation-Webpage zur Verfügung gestellten Demosounds stützen, die - im Interesse maximaler Werbewirksamkeit - sicherlich Glanzstücke der SIDstation darstellen. Gerne hätte ich die SIDstation auch in meinem Heimstudio in einem etwas größeren MIDI-Setup getestet, um zu hören, wie sich die SIDstation im Zusammenspiel mit anderen Geräten macht. Da dies allerdings nicht möglich war, muß ich mich hier auf die Demo-Tunes von Tomas Danko und anderen stützen, die ebenfalls via www.sidstation.com beziehbar sind.

Nun muß ich an dieser Stelle zugeben, daß ich diesen Artikel zweimal geschrieben habe - und der erste wäre ein ziemlicher Verriß geworden. Die älteren Klangbeispiele waren nämlich alles andere als berauschend, geschweige denn spektakulär. Man hörte einen auf Hochglanz polierten SID - und das war's dann allerdings auch schon wieder. So erschien mir die Aussage von Daniel Hansson, dem geistigen Vater der SIDstation, eher wie Realsatire, denn er schrieb mir folgendes...

"The unique sound of the SIDstation lays in its lo-fi character."
...und Lo-Fi war da sogar noch untertrieben, denn die SIDstation klang einfach nur matschig und schlecht.

Zeit heilt alle Wunden, sagt ein altes Sprichwort. Und auch der SIDstation hat die zusätzliche Zeit und das in dieser entstandene Betriebssystem-Update gut getan. Die neuen Klangbeispiele sind ungleich lebendiger und aufregender als die alten. Und während die SIDstation früher im Zusammenspiel mit "richtigen" Synthesizern eher dumpf und fad klang, vermag sie sich nun doch recht gut zu behaupten - und dies im positiven Sinne.

Allerdings muß man sich über eines im klaren sein: Die SIDstation ist sicher kein Lead-Synthesizer, daran werden auch zukünftige Betriebssystem-Updates nichts ändern - SID bleibt SID. Wer allerdings mit brachialen Rauhfaser-Bässen, Effektsounds und dem unverwechselbaren Charme der Arpeggios (Broken-Chords) liebäugelt, der schließt die SIDstation sicher schnell ins Herz. Und wer schon immer einen SID-Player als Standalone-Gerät haben wollte, der kommt an der SIDstation ohnehin nicht vorbei...
 

Zukunftsmusik

Wie bereits angesprochen, befindet sich die SIDstation eigentlich noch im Alpha-Stadium. Die Hardware steht zwar schon, aber an der Software wird fleißig geschraubt. Interessanterweise ergaben sich aus dem eMail-Verkehr mit mir einige neue Aspekte, die ggf. in die Software mit eingearbeitet werden sollen, als da wären: Was es offenbar nicht geben wird, sind Software-Hüllkurven zur Steuerung von z.B. Tonhöhe oder Filterfrequenz. Schade. Erstens müßte man nur die "Modulator"-Sourcen studieren und zweitens ist dies schlichtweg ein Muß, wie sonst sollte man "gezupfte", bläserartige oder perkussive Klänge realisieren?

Apropos Klänge: Derzeit gibt es keine Möglichkeit, erstellte Klänge außerhalb der SIDstation zu archivieren. Die einzige Möglichkeit, diese dauerhaft (d.h. über die Lebensdauer der internen Batterie hinweg) zu speichern, ist Papier und Bleistift - was übrigens ebenfalls die einzige Möglichkeit ist, Klänge zwischen SIDstations auszutauschen. Auch dies soll sich aber mit einer späteren Softwareversion ändern, und so komme ich zum
 

Support

Support wird bei Elektron ESI AB groß geschrieben, wie ich selbst am eigenen Leibe erfahren mußte. Nicht nur, daß man auf eine spätabends geschriebene Mail fast umgehend (!) eine Antwort erhält, nein, man wird auch ständig per Mail-Verteiler auf dem neuesten Stand gehalten. Bekommt man einmal ein "Liefern wir nach!" als Antwort, kann man sicher sein, daß dies auch innerhalb der nächsten Tage geschieht; und so werden auch die Käufer der ersten SIDstation-Generation nicht vergessen, sie bekommen kostenlose Updates ihrer Systemsoftware - ein Service, der heutzutage leider bei vielen Firmen in Vergessenheit geraten ist.
 

Fazit

Als aktiver Homerecorder, der dieses Hobby nunmehr seit über 11 Jahren betreibt, mußte ich beim Durchlesen der diversen Informationen zur SIDstation schmunzeln, teilweise den Kopf schütteln ob der Begriffsverwirrung (ein Arpeggiator gehört einfach nicht zur Synthese) und der Überschätzung der klanglichen Qualitäten der SIDstation. Ein SID bleibt ein SID, selbst wenn man ihn auf Hochglanz poliert - was die SIDstation zugegebenermaßen sehr schön tut. Dennoch wird kein high-end Synthesizer daraus, schon gar nicht zu einem Preis, zu dem man wirklich gute (und polyphone!) Geräte auf dem Gebrauchtmarkt bekommt. Auch zeugen die Aussagen, die mir gegenüber per eMail gemacht wurden, davon, daß sich die Jungs von Elektron ESI AB sich im Musikgerätemarkt nicht unbedingt auskennen, z.B. erhielt ich denn auf meine Frage, ob und wie man denn den unterschiedlichen Filtercharakteristiken der SID-Chips begegnet, von Daniel Hansson die Antwort, daß dies doch gar keine Rolle spiele, denn es hätte ohnehin niemand mehr als nur eine SIDstation. Daß so aber ein Klangprogramm auf jeder SIDstation anders klingen würde (und wie dramatisch der Unterschied sein kann, zeigte 1986 Chris Hülsbeck mit "Shades"), scheint entweder nicht von Interesse zu sein oder man hofft, daß niemand danach fragt - für den Einsatz in professionellen Studios ein absolutes K.O.-Kriterium.

Ich mag Lo-Fi Sound, drum habe ich mir auch gerade erst einen 8Bit-Drumcomputer gekauft - aber würde ich mir eine SIDstation kaufen? Ich denke nicht, denn jeder gebrauchte Analogsynthesizer ist klanglich besser - und in Kombination mit dem Oberheim Cyclone hat man auch Arpeggiator-Fähigkeiten, die die SIDstation vermutlich nie erreichen wird.

Hätten Sie's doch bei der Aussagen "...but now we're doing it for our own fun" belassen - die SIDstation würde von mir höchste Noten erhalten. Doch als Konkurrenzprodukt zu "amtlichen" Synthesizern kann sie leider nur verlieren, besonders wenn man den Mund dann auch noch so voll nimmt, wie es jeder auf der SIDstation-Homepage nachlesen kann.

Bleibt die Frage: Wer kauft sich eine SIDstation? Höchstens SID-Enthusiasten, die diesen unverwechselbaren Sound in höchster Qualität genießen wollen - und derer gibt es offenbar viele, wie die Lobeshymnen auf www.sidstation.de beweisen.


Begriffserklärungen


Quellen:
[1] Homepage von Elektron ESI AB (http://www.sidstation.com)
[2] Korrespondenz mit Daniel Hansson, Elektron ESI AB
[3] Klangbeispiele (via http://www.sidstation.com)
[4] Bedienungsanleitung (via http://www.sidstation.com)
[5] Interview mit Bob Yannes (Andreas Varga, 1996, http://stud1.tuwien.ac.at/~e9426444/yannes.html)