erschienen in: GO64! - Das Magazin für wahre Computerfreaks, Ausgabe 11/98
 

Hallo zusammen,

habt Ihr Euch eigentlich schon mal ein heutiges Handbuch angeschaut? Ja, ich weiß. Sie sind schwer zu finden mittlerweile, denn meist bekommt man nur noch ein Faltblatt oder eine bessere Werbebroschüre, deren tiefere Aussage ist, daß man im Falle des Falles doch bitte die Hilfedatei lesen bzw. folgende 0190-Nummer anrufen soll. Ich finde das einen klasse Service am Kunden, denn mir ist schon mehr als ein Regal unter der Last meiner diversen Computer- und Elektronik-Schmöker zusammengebrochen - und seitdem ich die 0190-Hotlines der Computerfirmen als Steuersparmodell entdeckt habe, weiß ich nicht einmal mehr, wie herum ich die Maus anfassen muß, ohne zuvor bei Microsoft angerufen zu haben. Schöne neue Welt? Mitnichten.

Ich bin lange genug dabei, um es noch anders gekannt zu haben. In meinem ZX81-Handbuch sind sogar Systemvariablen erklärt und wo sie sich im Speicher befinden. Ja, es wird sogar detailliert aufgezeigt, wie Integer-, Fließkomma und Textvariablen im Speicher abgelegt werden - ganz zu schweigen davon, daß ausführlich erklärt wird, wie unterschiedlich der Bildschirm bei der 1KB und der >16KB-Version abgespeichert wird. Den Schaltplan bekam man übrigens mit dem Bausatz geliefert.

Beim C64 hatte ich diesen Service schon nicht mehr. Gut, ich hatte ein paar Beispiele, wie man mit SID und VIC umgeht (und diese Motor-Sound-Demo ist heute noch mein Favorit :) - aber um den C64 zumindest ansatzweise programmieren zu können, brauchte ich schon die Bibel (ich meine natürlich das "64 intern"). Das war immerhin noch bezahlbar und bot viel für's Geld. Später, als ich dann einen Amiga mein Eigen nannte, ging das Handbuch abermals weniger ins Detail. Um sinnvoll programmieren zu können, sollte man sich nicht weniger als 4 Bände zum Spottpreis von DM300.-- zulegen. Aber ich möchte nicht meckern - immerhin hatte ich noch eine ausführliche Anleitung zum CLI und die Workbench wurde auch fein erklärt - ganz nebenbei wurden sogar die Anschlüße des Computers aufgelistet und deren Funktion aufgezeigt - ein Service, den heute das Hardwarebook im Internet übernimmt...

Apropos heute... Heute bekomme ich ein kleines Heftchen, auf neudeutsch Booklet, in dem sinngemäß steht, daß mein Geist eigentlich viel zu beschränkt ist, um all die wundersame Technik, die sich in modernen Programmen tummelt, zu verstehen. Man zeigt mir das, was ich wissen muß - beispielsweise, wo ich die Diskette reinstecken und auf welche Bildchen - verzeihung, Icons - ich klicken soll. Bei Problemfällen klicken Sie bitte auf das Hilfe-Icon oder wenden sich an den Hersteller. Das schafft Arbeitsplätze und generiert zusätzlichen Umsatz. Dem Kunden hilft's aber nichts, denn meiner Erfahrung nach ist die dem Endkunden zur Verfügung gestellte Hotline mindestens ebenso hilflos wie der Kunde selbst, sofern es sich nicht um ein 08/15-Problemchen handelt. Von diesem unter dem Deckmantel "Kosteneinsparung" geführten Informationsmißstand profitieren neben den Herstellern als Betreiber von Hotlines (und natürlich der Telekom) ganze Verlage mit Tausenden von Büchern, welche die eigentliche Verpflichtung der Hersteller übernommen haben, den Kunden über ein Produkt hinreichend zu informieren.

"Marketing" heißt diese Strategie. Und "Marketing" ist auch die Ursache, warum die Computerei heute so ist, wie sie ist: Voll von Halbwahrheiten und Gerüchten, die von der Nicht-Information des Endkunden herrühren. Und die Strategie geht auf - der heutige Kunde will gar nicht mehr informiert werden, vielmehr verläßt er sich auf die Aussagen der Werbeabteilungen der Soft- und Hardwarehersteller, um sich dann möglichst schnell die neusten Exemplare der entsprechenden Produkte zu sichern. Daß Software mit jedem neuen Release ungleich höhere Anforderungen an die Hardware setzt - oftmals bei gleicher Funktionalität - ist hierbei sicher kein Zufall.

Zum Glück bleiben wir von dieser Art "Marketing" verschont. Halbgare Produkte für den C64 finden keinen Absatz - und das gezielte Zurückhalten von Informationen erzeugt nicht mehr Umsatz durch Hotline und Buchverkauf, vielmehr führt es dazu, daß ein solches Produkt erst gar keine Verwendung finden wird. Möglich wird dies durch die C64-Fan-Gemeinde, die ihrem Rechner nicht nur hartnäckig die Stange hält sondern sich mit diesem Gerät auch ernsthaft auseinandersetzt.

In diesem Sinne,

Rainer Buchty